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Das IÖW trauert um seinen Gründungsgesellschafter Otto Ullrich

Otto Ullrich, einer der Mitgründer des IÖW, ist tot. Er starb am 7. Januar 2015 im Alter von 76 Jahren in Berlin. Der Sozial- und Wirtschaftswissenschaftler gehörte 1985 zum Kreis der Gründungsgesellschafter des Instituts um Reinhard Pfriem. Die Trauerfeier für Otto Ullrich findet am 4. Februar 2015 um 10 Uhr in der Kapelle am Friedhof in der Schulzendorfer Str. 53 in Berlin statt.

Die Mitarbeiter/innen und Gesellschafter/innen des Instituts reagierten auf die Nachricht mit Bestürzung und Trauer. „Das IÖW verliert mit Otto Ullrich einen Vordenker, einen ebenso engagierten wie kritischen Begleiter und einen guten Freund. Unsere Gedanken sind bei seiner Frau Karin“, sagte Thomas Korbun, Wissenschaftlicher Geschäftsführer des IÖW.

„Blickwende in der Technologiepolitik. Naturumgang, Bedürfnisse und räumliche Entwicklungsperspektiven der Region Bergisches Land“ – so hieß eines der ersten Projekte des IÖW, in dem Otto Ullrich mit Arnim von Gleich, Ruggero Schleicher-Tappeser, Rainer Lucas und Markus Hesse Grundlagen für eine regional angepasste, natur- und menschenverträgliche Technologieentwicklung entwarf. Das Projekt griff Ideen seiner 1977 erschienenen Monographie „Technik und Herrschaft“ auf und setzte sie praktisch um.

Ansporn zum kritischen Forschen

Mit Martin Jänicke und anderen erarbeitete Otto Ullrich 1986 eine Studie „Qualitative und soweit möglich quantitative Abschätzung der kurz- und langfristigen Wirkungen eines Ausstiegs aus der Kernenergie“. Das Projekt führte das IÖW zusammen mit dem Öko-Institut im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums durch.

„Otto Ullrich hat uns in den vergangenen 30 Jahren immer wieder ermuntert, genauer hinzuschauen, die großen Widersprüche in der Gesellschaft aufzugreifen und noch kritischer zu forschen. Das war für uns selten bequem, doch immer Ansporn. Sein Anspruch bleibt uns Verpflichtung – auf diese Weise wird er das IÖW auch in Zukunft begleiten“, so Thomas Korbun.  

Der folgende Nachruf auf Otto Ulrich erschien am 12. Januar 2015 in leicht gekürzter Fassung unter der Überschrift „Ein Störenfried im besten Sinn“ in der Druck-Ausgabe der taz und ist auch in der Online-Ausgabe der taz verfügbar. Wir danken dem Autor Manfred Kriener für die Erlaubnis, die vollständige Fassung hier zu übernehmen:

 

Der Störenfried

 

Zum Tod des Sozialwissenschaftlers und ökologischen Vordenkers Otto Ullrich

Ein Nachruf von Manfred Kriener

Man konnte ihn nicht übersehen. Das neugierig-jungenhafte Gesicht, die Pilzkopfsträhnen, der unvermeidliche rote Pullover. Der Berliner Sozialwissenschaftler Otto Ullrich war auf unzähligen politischen Veranstaltungen präsent. Nicht nur als Zuhörer, sondern als leidenschaftlicher Diskutant. Er mischte sich ein mit seiner ureigener Diktion: einer Mischung aus ostpreußischem Idiom, antikapitalistischer Verve und einer tief anrührenden, sanften Menschenfreundlichkeit. Ullrich war dabei vollkommen undiplomatisch. Was zu sagen war, sagte er mit der Tonlage des radikalen Aufklärers, rücksichtslos gegenüber dem Mainstream und der eigenen Karriere. Er war ein Störenfried im besten Sinn. Ullrich ist vergangenen Mittwoch im Alter von 76 Jahren gestorben.

Otto Ullrich kam 1938 auf einem ostpreußischen Bauernhof zur Welt, auf dem es weder Strom noch Zentralheizung gab, auch keine Innentoilette und „selbstverständlich kein Auto“, wie er stets betonte. 1945 die Flucht mit dem traumatischen Tod von Vater und Großmutter. Drei Jahre russische Zivilgefangenschaft, dann die Ausweisung in den Westen. Mit zehn Jahren geht er erstmals in die Schule, zuvor hat ihm die Mutter Lesen und Schreiben beigebracht. Ullrich macht eine Lehre, wird Rundfunk- und Fernsehtechniker, studiert später auf der Ingenieurschule Elektrotechnik, arbeitet bei Telefunken. Er holt das Abitur nach, studiert Soziologie, Sozialpsychologie und Wirtschaftswissenschaften in Berlin und London. 1977 entsteht sein viel zitierter Klassiker „Technik und Herrschaft“, in dem erstmals beschrieben wird, welches Eigenleben technische Strukturen entwickeln und wie schwer sie beherrschbar oder auch nur kontrollierbar sind.

Ullrich steht auf den Schultern des Zivilisationskritikers Ivan Illich, dem Ökopionier der 70er Jahre. In den 1980er Jahren arbeitet er an der Berliner TU in der „Traube-Gruppe“ um den konvertierten Atomkritiker Klaus Traube. Zusammen mit Helmut Holzapfel, Ursula Neubauer, Wolfgang Sachs, Karl-Otto Schallaböck und Helmut Spitzley entsteht ein kreatives Feld ökologischer Avantgardisten mit großer Ausstrahlung in die Verkehrs- und Energiepolitik und in die neue grüne Partei. „Autoverkehr 2000“ heißt die bekannteste, als Buch erschienene Studie der Gruppe. Die Tempo 30-Zonen unserer Städten und das Downsizing der Motoren – hier sind sie erdacht worden. Und: CO2 wird von Ullrich frühzeitig als Klimaschadstoff kritisiert. Andere lachen.

An der Gesamthochschule Kassel soll Ullrich das neu gegründete Institut Mensch und Umwelttechnik übernehmen. Doch der SPD-Landesregierung ist seine radikale Technikkritik zu anstößig – keine Professur für den Unbequemen. Der Bau seines Natur-Holzhauses im Tegeler Fließ – ohne die Hilfe von Handwerkern – ist sein neues Projekt. Ullrich ist nicht nur intellektueller Vordenker, er ist auch Praktiker und lebt die ökologische Maxime mit Ehefrau Karin in aller Konsequenz. Kein Auto, keine Fernreisen, kein unnötiger Konsum, kein Fleisch – dafür selbstgezimmerte Möbel und die riesige Bibliothek als einziger Luxus. Manche Mitstreiter tun sich schwer: „Otto, wenn Du den Begriff kapitalistisch vielleicht nur noch in jedem fünften Satz gebrauchst, dann hören Dir die Leute ganz anders zu“, rät ein Freund. Doch Ullrich, geißelt weiter die „Tyrannei der Werbung“, die „kapitalistische Raubökonomie“ und die „Dynamik der Unersättlichkeit“. Mit leiser Stimme pflegt er die harsche Kritik auch vor Studenten und Ingenieursanwärtern, die anfangs schockiert und später meist begeistert sind von ihrem etwas anderen Dozenten. Der ist auch einer der Gründerväter des Berliner Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung IÖW, dessen Wissenschaftler er immer wieder mit Kritikpapieren und Zwischenrufen von der Seitenlinie versorgt.

„Mich regt schon lange auf, dass…“ beginnt er gern seine Sätze. Dann folgen Analysen zu den überzüchteten Brustmuskeln von Truthähnen, zum Parteiprogramm der Grünen oder dem Anwachsen von Kühlschränken auf XXL-Format. Sein inhaltliches Spektrum ist breit wie der Nil. „Wenn er mich besuchte“, erinnert sich der frühere Leiter des Berliner Büros des Wuppertal-Instituts, Wolfgang Sachs, „kam er meist mit Aktentaschen voller Bücher. ‚Kennst du das schon? Das ist Schwachsinn! Aber das hier ist interessant!‘ Er war ein höchst belesener Fundamental-Ökologe, der Kompromisse verabscheute – im Argument wie im Alltag. Ein verkannter eigenbrötlerischer Gelehrter alten Stils.“

 

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