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Die Welt im Krisenmodus: Warum es jetzt eine Postwachstumsstrategie braucht

Die Weltklimakonferenz in Ägypten hat zum Erreichen des 1,5-Grad-Ziels keinen Durchbruch gebracht. Um beim Schutz von Klima und Biodiversität global gerecht voranzukommen, lenken das Berliner Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) und die Vereinigung für ökologische Wirtschaftsforschung (VÖW) den Blick diese Woche auf das Thema Wachstum: Am Mittwoch geht es bei der Tagung „Ausgewachsen – Wirtschaften als gäbe es ein Morgen“ darum, wie die Menschheit zukunftsfähig innerhalb der planetaren Grenzen leben und wirtschaften kann und warum es dafür eine Postwachstumsstrategie braucht.

Volkswirt Ulrich Petschow vom IÖW betont in seiner Grundsatzrede: „Mehrere miteinander verwobene Krisen erschüttern Wirtschaft und Gesellschaft. Die Klimaerwärmung verschärft sich und löst immer mehr Folgekrisen aus. Wir brauchen jetzt eine Postwachstumsstrategie. Angesichts beispielloser klimatischer Extreme in diesem Jahr erkennen immer mehr Institutionen, dass Klima- und Artenschutz einen sozial-ökologischen Systemwechsel erfordern.“ 
Die Zusammenkunft findet vor Ort in Berlin und zusätzlich online statt, Interessierte können sich noch für den Livestream registrieren. Rund 500 Teilnehmende werden erwartet.

Die Welt gefangen in der Polykrise: Resilienz muss gestärkt werden
Transformationsforscher Petschow weist darauf hin, wie ausgeprägt die Krisen der Gegenwart miteinander verwoben sind. „Wir sind längst im Zustand einer Polykrise angekommen. Corona und seine Auswirkungen auf die Weltwirtschaft, geopolitische Spannungen, Inflation und Finanzmarktkrisen, Klimaerwärmung und Biodiversitätsverluste – die gleichzeitigen Krisen schaukeln sich gegenseitig hoch“, so Petschow. „Postwachstumsansätze können die Gesellschaft resilienter machen, wenn Staat, Markt und Gesellschaft neu austariert werden. Dazu zählen etwa eine erneuerbare, regionale und wachstumsunabhängige Energieversorgung, eine Stärkung des öffentlichen und gemeinwirtschaftlichen Sektors sowie eine deutliche Aufwertung der Care-Ökonomie.“

50 Jahre nach dem Weckruf des Club of Rome „Grenzen des Wachstums“
„Ein halbes Jahrhundert nachdem der Club of Rome in seinem ersten Bericht die ökologischen ‚Grenzen des Wachstums‘ aufgezeigt hat, sind mehrere planetare Grenzen weit überschritten. Und die aktuellen Krisen zeigen: Das fossile System bröckelt. Es hat sich ausgewachsen“, so Thomas Korbun, Wissenschaftlicher Geschäftsführer des IÖW. „Veränderungen müssen jetzt bei denjenigen Strukturen ansetzen, die noch immer auf Wachstum fixiert sind. Vorsorge und Wachstumsunabhängigkeit müssen ins Zentrum der gesellschaftlichen Debatte rücken.“
Alexandra Palzkill, Vorstandsvorsitzende der VÖW fügt hinzu: „Alternative Ansätze kooperativen und gemeinwohlorientierten Wirtschaftens zeigen bereits heute, dass Gegenentwürfe zu den wachstumsabhängigen und damit hochfragilen Organisationsmodellen in unserem Wirtschaftssystem existieren. Auf diesen Erfahrungsschatz aufzubauen und den Dialog zwischen den verschiedenen Communities zu fördern, ist Ziel unserer Tagung.“

Auf der Suche nach Postwachstumsstrategien und neuen Indikatoren für Wohlstand
Die Forschenden weisen darauf hin, dass es in der Debatte ums Wachstum lange Zeit eine unversöhnliche Kontroverse zwischen verschiedenen Strömungen gegeben hat, die entweder grünes Wachstum, Postwachstum oder Degrowth befürworten. 
„Es wächst die Erkenntnis, dass wir die Zeit der Theoriedebatten überwinden und gemeinsam in die Anwendung finden müssen. In jüngster Zeit diskutieren auch relevante Mainstream-Institutionen darüber, wie Wohlstand neu gefasst und gemessen werden kann“, so Ulrich Petschow. „Der Weltklimarat IPCC etwa thematisiert in seinem jüngsten Bericht Postwachstum und Degrowth erstmals als Ansatzpunkte, um Klimaziele doch noch zu erreichen. Auf europäischer Ebene reden die Europäische Umweltagentur oder der Europäische Forschungsrat über Grenzen der Entkopplung von Wachstum und Ressourcenverbrauch. Die OECD und das Bundeswirtschafts- und Klimaschutzministerium sind auf der Suche nach neuen Indikatoren für Wohlstand, um ihre Politik zukunftsgerichtet steuern zu können.“ 

Kritischen Wachstumsdiskurs, Suffizienz und soziale Innovationen zusammenbringen
Mit der Tagung wollen das IÖW und die VÖW von theoretischen Debatten zu konkreten Handlungsoptionen kommen. Die Wirtschaftsforscher*innen schlagen ein praxisnahes Forschungs- und Handlungsprogramm vor, mithilfe dessen für zentrale Handlungsfelder weitreichende Systemwechsel anstoßen werden können. In drei Themensträngen diskutieren Teilnehmende und Referent*innen, wie eine neue Wirtschaftsordnung aussehen kann, wie die Themen Effizienz und Suffizienz strategisch verbunden werden können und auf welche Weise zukunftsfähige Wohlstandsmodelle Verteilungs- und Gerechtigkeitsfragen beantworten können. 
„Es ist an der Zeit, dass das Thema Postwachstum mit politischen Ansätzen für Suffizienz und für soziale Innovationen zusammengebracht wird. Nur so können kohärente Strategien für eine Transformation entwickelt werden, die von der Gesellschaft getragen werden“, sagt Just-Transition-Forscherin Helen Sharp vom IÖW. „Dafür ist es zentral, Verteilungsfragen zu thematisieren und sozial gerechte Ansätze zu entwickeln. Hier können neue gesellschaftliche Allianzen wertvolle Beiträge leisten, beispielsweise Bündnisse aus Sozial-, Umwelt- und Entwicklungsverbänden, die umsetzungsfähige und sozial ausgewogene Handlungsvorschläge aushandeln.“

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Zur Tagung:
Die Tagung „Ausgewachsen – Wirtschaften als gäbe es ein Morgen“ findet am 23. November 2022 von 12:00-19:00 Uhr vor Ort in Berlin und online im Livestream statt. 

Programm und Anmeldung: www.ioew.de/ausgewachsen 

Förderung und Kooperation:
Die Tagung mit Förderung durch die Berliner Senatsverwaltung für Wissenschaft, Gesundheit, Pflege und Gleichstellung findet in Kooperation mit der Tagesspiegel Future Sustainability Week 2022 statt. 

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