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Nach Verfassungsgerichtsurteil: IÖW empfiehlt, Anwohner und standortnahe Gemeinden mehr an Energiewende zu beteiligen

Auf dieses Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat die Energiebranche gewartet: Ist das Bürger- und Gemeindenbeteiligungsgesetz in Mecklenburg-Vorpommern verfassungsgemäß? Die Antwort: ja, das Land darf Betreiber von Windenergieanlagen dazu verpflichten, Bürger*innen im Umkreis von fünf Kilometern der Anlagen eine Eigentumsbeteiligung oder alternativ Sparprodukte anzubieten und der Standortgemeinde eine Abgabe zu zahlen, um auf diese Weise die Akzeptanz der lokalen Bevölkerung gegenüber Windrädern zu stärken. Um den Ausbau erneuerbarer Energien angesichts der Klimakrise und des Ukraine-Kriegs deutlich zu beschleunigen, empfiehlt das Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) nun eine noch weitergehende Beteiligung von Bürger*innen an der Energiewende.

Gerichtsurteil bestätigt, dass Eigentumsbeteiligung geeignet ist

Im Jahr 2021 hat die Bundesregierung eine Beteiligungsregelung im Erneuerbare-Energien-Gesetz geschaffen, wobei diese, anders als die Regelung in Mecklenburg-Vorpommern, lediglich eine freiwillige Zahlung der Anlagenbetreiber an die Kommunen ermöglicht. In einer Studie im Auftrag des Wirtschaftsministeriums hatte das IÖW gemeinsam mit dem Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität (IKEM) und der Kanzlei Becker Büttner Held (BBH) entsprechende Vorschläge für die finanzielle Beteiligung von betroffenen Kommunen bei Planung, Bau und Betrieb von erneuerbaren Energieanlagen vorgelegt.

„Die Bundesregelung ist zwar ein wichtiger Schritt hin zu mehr Beteiligung, aber unsere Empfehlungen zur Beteiligung von Kommunen und Bürger*innen gehen noch deutlich weiter“, sagt IÖW-Wissenschaftler Steven Salecki. „Auch das aktuelle Urteil des Bundesverfassungsgerichts weist in diese Richtung: Es sieht eine Eigentumsbeteiligung als geeignet und zumutbar an, um die Bevölkerung in den umfangreichen technischen und gesellschaftlichen Transformationsprozess der Energiewende einzubinden und die Klimaneutralitätsziele zu erreichen.“

Weitere Energiewende muss beteiligungsorientiert erfolgen

„Um den Ausbau erneuerbarer Energien zu beschleunigen und dabei die Bevölkerung – Gegner*innen wie Befürworter*innen – mitzunehmen, muss die weitere Ausgestaltung der Energiewende unweigerlich beteiligungsorientiert erfolgen“, ergänzt Energiewendeexperte Bernd Hirschl vom IÖW. „Dazu sollte ein verpflichtendes Angebot zur Eigentumsbeteiligung auch auf die anderen Bundesländer oder gar auf die Bundesebene ausgedehnt werden. Daneben sollten die rechtlichen Rahmenbedingungen für Energy Sharing in Erneuerbare-Energien-Gemeinschaften geschaffen werden, was laut EU-Recht längst vorgesehen ist. Damit ließe sich die breite Teilhabe und finanzielle Beteiligung nahezu aller Bürger*innen ermöglichen.“

Vorläufige Forschungsergebnisse einer empirischen Untersuchung des Zusammenhangs von regionaler Wertschöpfung, Beteiligungsmodellen und Akzeptanz in der Energiewende (Forschungsprojekt ReWA), die das IÖW gemeinsam mit dem Institut für Zukunfts-, Energie- und Stoffstromsysteme (IZES) und der Agentur für erneuerbare Energien (AEE) durchführt, weisen darauf hin, dass eine alleinige finanzielle Teilhabe nicht per se akzeptanzförderlich ist. „Wichtig ist, dass die Gesamtstrategie der Energiewende von der Bevölkerung getragen wird, einzelne Regelungen müssen ineinandergreifen und Kosten und Nutzen gerecht verteilt werden“, sagt Salecki. „Dafür müssen auch Kommunen als zentrale Akteure aktiviert und befähigt werden, die Planungsprozesse anzugehen, zu unterstützen und im besten Falle auch selbst Anlagen zu errichten und/oder zu betreiben, damit möglichst viel des ökonomischen Nutzens der heimischen Wertschöpfung bei den Standortkommunen verbleibt.“

Bislang gibt es vor Ort allerdings Hemmnisse wie mangelnde fachliche Kapazitäten oder fehlende finanzielle Ressourcen. Hier sind der Gesetzgeber und die Bundesregierung gefragt, so die Forschenden. Einen ersten Beitrag könnte eine verpflichtende finanzielle (Mindest-)Beteiligung von Kommunen leisten. Auch Finanzierungshilfen wie Bürgschaften oder Vorkaufsrechte für risikoärmere bereits bestehende Erneuerbare-Energien-Projekte bieten vielversprechende Ansätze, die zudem schnell umsetzbar wären.

„Zu einer Gesamtstrategie gehört auch, Energieerzeugung und -verbrauch regional effizient zusammenzuführen“, sagt Bernd Hirschl. „Die technische und wirtschaftliche Effizienz einer Regionalisierung der Energieversorgung bietet idealerweise geeignete Anknüpfungspunkte für Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften, regionale Stromangebote etwa von grünen kommunalen Stadtwerken oder für virtuelle Kraftwerke als effizientes Ausgestaltungskriterium im Netzbetrieb. Eine regional ausgestaltete Energieversorgung ist die beste Voraussetzung, um regionale Wertschöpfungspotenziale auszuschöpfen und somit ein idealer Anreiz für ländliche und strukturschwache Energieregionen.“

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Zum Urteil des Bundesverfassungsgerichtes: Beschluss vom 23. März 2022 1 BvR 1187/17

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