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Parlamentarischer Beirat für nachhaltige Entwicklung diskutiert Postwachstumsstrategien

Umweltpolitik-Experte Ulrich Petschow vor dem Paul-Löbe-Haus

Berlin, 19. Februar 2019: Welche Bedeutung haben Postwachstumsansätze für die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie? Wie lassen sie sich in konkretes politisches Handeln übersetzen? Diese Fragen standen im Fokus des öffentlichen Fachgesprächs „Postwachstumsstrategien“ des Parlamentarischen Beirates für nachhaltige Entwicklung des Deutschen Bundestags am 13. Februar 2019. Umweltpolitik-Experte Ulrich Petschow vom Institut für ökologische Wirtschaftsforschung war als Sachverständiger eingeladen.

Angesichts großer Unsicherheiten bezüglich des Erfolgs einer Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Umweltbelastung sowie der Entwicklung der Wirtschaftsleistung in der Zukunft plädierte Petschow dafür, die Abhängigkeit der gesellschaftlichen Entwicklung vom Wirtschaftswachstum durch gezielte Maßnahmen zu reduzieren und so neue Spielräume für ambitionierte Umwelt- und Nachhaltigkeitspolitik zu eröffnen. Dies ist der Kern der „vorsorgeorientierte Postwachstumsposition“, die ein Forscherteam des IÖW, RWI-Leibniz Institut für Wirtschaftsforschung und des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie vor Kurzem als neuen Konsensvorschlag in die Nachhaltigkeitsdebatte eingebracht hat.

Als zweiter Sachverständiger war Prof. Johannes Wallacher, Präsident der Hochschule für Philosophie München und Vorsitzender der Sachverständigengruppe „Weltwirtschaft und Sozialethik“ der Deutschen Bischofskonferenz geladen. Er ist Mitautor der Studie „Raus aus der Wachstumsgesellschaft? Eine sozialethische Analyse und Bewertung von Postwachstumsstrategien.“ Die Ergebnisse und Forderungen der beiden Sachverständigen trafen bei den Bundestagsabgeordneten auf großes Interesse.

Umwelt- und Klimaschutz braucht wirksamere Rahmenbedingungen und neue Leitbilder

Petschow betonte, dass es um einen grundlegenden kulturellen Wandel gehen müsse von einer „Kultur des Wachstums hin zu einer Kultur der Nachhaltigkeit“. „Um die planetaren Belastungsgrenzen einzuhalten“, so Petschow, „muss die Politik wirksamere ökonomische Rahmenbedingungen setzen. Noch immer wird in großem Umfang umweltschädigendes Verhalten durch staatliche Subventionen gestützt“. Er zeigte Anknüpfungspunkte zwischen dem Postwachstumsdiskurs und dem Peer Review der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie auf. Dieser hatte Maßnahmenprogramme für kritische Bereiche der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie empfohlen. Entsprechend den Handlungsempfehlungen des Peer Review forderte Petschow, systematisch großskalige Experimentierräume oder Reallabore für nachhaltigeres Wirtschaften zu fördern und einen Pfadwechsel hin zu einer nachhaltigen und stärker wachstumsunabhängigen Entwicklung zu unterstützen. Beispiele hierfür lassen sich im Kontext des BMBF-Förderprogramms Sozial-ökologische Forschung (SÖF) finden, das darauf abzielt, Transformationsprozesse zu analysieren und zu unterstützten.

Die Abgeordneten interessierten sich dafür, wie gesellschaftliche Institutionen wachstumsunabhängiger werden können. Auch zum Vorschlag einer CO2-Steuer oder wirksamer Cap-und-Trade-Systeme sowie aktuellen Gesetzesinitiativen im Handlungsfeld Kreislaufwirtschaft gab es Nachfragen. Petschow und Wallacher betonten, dass die Politik die Rahmenbedingungen wirksamer als bisher setzen müsse. Überlasse man Umwelt- und Klimaschutz allein dem Individuum, führe dies zu einer moralischen Überforderung, so Wallacher.

Die Debatte zu konkreten Politikmaßnahmen fokussierte insbesondere auf eine mögliche CO2-Steuer. Verschiedenen Abgeordnete betonten dabei die Bedeutung verteilungspolitischer Politikmaßnahmen, die auf einen sozialen Ausgleich abzielen. Zustimmung fand auch der von beiden Experten geforderte kulturelle Wandel. „Ich glaube, dass die Messgrößen und Kennzahlen bei Unternehmenserfolg die falschen Anreize setzen“, pflichtete Bernd Westphal, wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD, den beiden Wissenschaftlern mit Blick auf die bisher verwendeten Indikatoren bei. Lukas Köhler (FDP) stellte die entscheidende Frage: Wie kommen wir zu neuen Leitbildern? Wie verhandeln wir diese?

„Wir sind mit der Diskussion noch lange nicht am Ende“

Die Forscher/innen der Postwachstumsdebatte gaben wichtige Impulse für die Politik. Nun, so Gerhard Zickenheiner, Abgeordneter der Grünen, sei es Aufgabe der Politik, den wissenschaftlichen Ergebnissen politische Taten folgen zu lassen. „Wir sind mit der Diskussion (…) noch lange nicht am Ende“, schloss Andreas Lenz (CSU), Vorsitzender des Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung, die Debatte.

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Mehr Informationen zum Fachgespräch „Postwachstumsstrategien“

-    Aufzeichnung der Sitzung in der Mediathek des Deutschen Bundestages
-    Download Stellungnahme von Ulrich Petschow (PDF, 0,4 MB)

Über die vorsorgeorientierte Postwachstumsposition

Ulrich Petschow leitet das Projekt „Ansätze zur Ressourcenschonung im Kontext von Postwachstumskonzepten“, das das IÖW gemeinsam mit dem RWI – Leibniz Institut für Wirtschaftsforschung und dem Wuppertal Institut für Klima, Umwelt Energie im Auftrag des Umweltbundesamtes (UBA) durchführt.

Die im Projekt entstandene Studie „Gesellschaftliches Wohlergehen innerhalb planetarer Grenzen. Der Ansatz einer vorsorgeorientierten Postwachstumsposition“ ermöglicht eine Orientierung in der in Wissenschaft und Zivilgesellschaft breit geführten Debatten zu Wachstum und Nachhaltigkeit und diskutiert entsprechende politische Strategien.

Mehr über das ProjektZur Studie

Über den Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung

Der Parlamentarische Beirat für nachhaltige Entwicklung soll die nationale Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung, die europäische Nachhaltigkeitsstrategie sowie die Nachhaltigkeitspolitik der Bundesregierung auf internationaler Ebene parlamentarisch begleiten und Empfehlungen abgeben. Er wurde 2004 eingerichtet. Im Unterschied zu Fachausschüssen des Bundestages ist der Beirat keinem einzelnen Ressort zugeordnet, vielmehr bearbeitet er eine komplexe Querschnittsaufgabe.

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