Um den Ausbau von Windrädern zu beschleunigen, haben mehrere europäische Länder in den letzten Jahren Planungs- und Umsetzungsprozesse optimiert. Doch diese werden oft durch Interessen- und Zielkonflikte verlangsamt, die auf Gerechtigkeitsfragen hinweisen. In einem Papier entwickelte das Projekt JustWind4All ein differenziertes Verständnis von Beschleunigung und Gerechtigkeit der Energiewende. Die Forschenden vom Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) und vom Dutch Research Institute for Transitions BV (DRIFT) bieten einen Fragenkatalog an: Damit können Forschung und Energiepolitik die zeitliche und räumliche Gerechtigkeit sichtbar machen, um eine gerechte und zugleich beschleunigte Energiewende zu ermöglichen.
Bisher gibt es wenig Forschung dazu, wie sich eine Beschleunigung der Energiewende auf die Gerechtigkeit auswirkt. JustWind4All hat in zwei Regionen den Windenergieausbau und dessen Zielkonflikte in den letzten Jahrzehnten bis 2024 untersucht, unter anderem in Brandenburg. Das Paper richtet den Blick auf strukturelle Unterschiede beim Windausbau. Es geht etwa darum, wie Lasten und Nutzen der Windräder in der Gesellschaft verteilt sind, wer über ihren Bau mitentscheiden kann und welche Narrative oder historischen Vorbedingungen diese Prozesse prägen.
Nicht alle Kommunen können gleich gut mitziehen
„Die deutsche Regierung wollte mit dem Osterpaket 2022 Tempo in den Windenergieausbau bringen“, sagt IÖW-Projektleiterin Dr. Sabine Hielscher. „Ein gutes Ziel – doch bei solchen Vorgaben wäre es wichtig, die unterschiedlichen Voraussetzungen in den Ländern und Kommunen besser zu adressieren.“ Denn: Widersprüchliche Interessen, Kapazitäten, Ressourcen und Zuständigkeiten auf verschiedenen Regierungsebenen waren in der Vergangenheit eine Hauptursache für Verzögerungen und sollten in zukünftigen Strategien stärker berücksichtigt werden.
Beispiel Fachkräfte: Wenn eine Kommune keine zusätzlichen Regionalplaner*innen finanzieren oder finden kann, ist es schwer, den Ausbau tatsächlich zu beschleunigen. Besonders in Brandenburg löste das Osterpaket in der Kommunalverwaltung Druck aus, denn es kam mit „schlechtem Timing“: Gerade waren die Regionalpläne landesweit aufgrund rechtlicher Anfechtungen umfassend bearbeitet worden – doch statt endlich loslegen zu können, mussten die Pläne nun an das neue Bundesgesetz angepasst werden.
Ein struktureller Nachteil besteht zudem bei kleinen ländlichen Kommunen, die in der Regel keine*n Nachhaltigkeitsmanager*in haben: Eine solche Fachperson kann Anfragen von Investoren kritisch begleiten, sodass die Kommune mehr mitreden kann und am Ende stärker von dem Windpark profitiert.
Bestehendes Unrecht in den neuen Bundesländern aufarbeiten
Die Ursachen für Proteste gegen Windräder können zudem in der Vergangenheit liegen. In den neuen Bundesländern begann der Windenergieausbau nach der Wende in den 1990er Jahren – begleitet von dem Versprechen, dass die Kommunen von dieser neuen Industrie profitieren werden. Heute zeichnen die Besitzverhältnisse ein anderes Bild: Auf dem Gebiet der ehemaligen DDR gehören Windräder häufiger internationalen Konzernen, bei denen die lokale Wertschöpfung weniger im Fokus steht, und es wurden im Vergleich zu manchen alten Bundesländern mit einem hohen Windenergieanteil nur wenige Energiegenossenschaften gegründet. Ein oftmals genannter Grund: Westdeutsche haben mehr vererbtes Vermögen, sodass sie leichter in Energiegenossenschaften investieren können – und dadurch selbst von den Gewinnen profitieren.
Aktuelle Maßnahmen zur Förderung der Akzeptanz, etwa regionale Beteiligungsgesetze, kommen daher in manchen Regionen vielleicht zu spät. „Wenn die Energiepolitik etwas gegen die verhärteten Fronten beim Thema Windkraft tun will, muss sie zunächst ehrlich anerkennen, dass das Versprechen einer gerechten Windkraft im Osten bisher nicht ausreichend eingelöst wurde“, so Hielscher.
Heuristik für weiterführende Forschung
„Wird soziale Gerechtigkeit nicht ausreichend mitgedacht, kann ein Windenergieprojekt dazu führen, dass bestehende regionale Ungleichheiten verstärkt werden“, argumentiert Hielscher. Das Paper hat deshalb eine räumlich-zeitliche Heuristik für ein differenziertes Verständnis von Beschleunigung und Gerechtigkeit entwickelt. Mit dem Fragenkatalog kann die Energiewendeforschung bestehende ungerechte Strukturen besser analysieren und Handlungsempfehlungen für die Energiepolitik entwickeln. Deutlich wird: Eine nachhaltige und gerechte Energiewende kann nur durch die Berücksichtigung der räumlichen und zeitlichen Dynamiken in den politischen und gesellschaftlichen Prozessen gelingen.
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