Wie kann die Transformation zu einer klimaneutralen Wirtschaft und Gesellschaft gelingen? Nach einem polarisierenden Wahlkampf und den Ergebnissen der Bundestagswahl 2025 wird auch die nächste Regierung bei der Beantwortung dieser Frage vor Herausforderungen stehen. Der Sammelband „Zwischen Zumutung und Zuversicht – Transformation als gesellschaftliches Projekt“, den das Bundeskanzleramt kürzlich herausgegeben hat, zeigt Anknüpfungspunkte – auch für diejenigen, die sich der sozial-ökologischen Transformation nun in Regierungsverantwortung annehmen. IÖW-Wissenschaftlerin Helen Sharp ist – neben Autor*innen wie Silke Borgstedt, Heinz Bude, Wolfgang Merkel, Felix Heidenreich, Maren Urner, Uwe Schneidewind und vielen anderen – mit einem Beitrag zur Schnittstelle von Politik und organisierter Zivilgesellschaft im Buch vertreten.
Der Band fasst die zentralen Diskussionsergebnisse der Konferenz „Gesellschaftliche Gelingensbedingungen der Transformation“ des Bundeskanzleramts zusammen, thematisiert wesentliche Spannungsfelder demokratischer Transformationspolitik, durchleuchtet sie interdisziplinär und will die Debatte zu praktischen Lösungsansätzen weiter befördern. Es steht zum kostenlosen Download bereit.
Wenn Staat und Gesellschaft sich immer mehr entfremden
„In der vielfach konstatierten Polykrise muss Politik in neuer Frequenz und Parallelität auf kurzfristige Krisendynamiken reagieren und gleichzeitig langfristige Transformationserfordernisse im Zusammenhang mit ökologischen und sozialen Krisen sowie technologischen und demografischen Entwicklungen adressieren“, so Helen Sharp in ihrem Beitrag. Hieraus entsteht eine doppelte Herausforderung: Es ergeben sich einerseits neue Anforderungen an die Qualität und Reichweite politischer Entscheidungen, wobei es wesentlich ist, breite gesellschaftliche Zustimmung oder mindestens Akzeptanz zu organisieren. Neben Fragen der konkreten Umsetzung werde es zunehmend auch um Richtungsentscheidungen und Werturteile gehen müssen – also darum, wie Zumutungen gerecht verteilt werden und in welchem Maße Eingriffe in die individuelle Lebensgestaltung von Menschen zulässig sind, so Helen Sharp.
Gleichzeitig zeigen sich immer deutlicher Symptome einer wachsenden Distanz „zwischen Regierenden und Regierten, zwischen Politik und ihren Subjekten, zwischen Staat und Gesellschaft“. Die Entfremdung sei beidseitig, so Sharp: „Immer mehr Menschen sind unzufrieden, weil Politik aus ihrer Sicht zu viel, zu wenig oder nicht das Richtige tut. Gleichzeitig fällt es auch politischen Parteien zunehmend schwer, mit politischem Handeln Resonanz in Form veränderter Wahlprognosen zu erzeugen.“
Weitreichende Veränderungen erfordern jedoch nicht nur gesellschaftliche Akzeptanz, sondern auch das „langsame Bohren harter Bretter“ innerhalb des politischen Prozesses, so die Politikwissenschaftlerin. Hier brauche es nach wie vor entsprechende Organisationen als wichtige Bindeglieder. Wenn gesellschaftliche Politisierung nun zwar wie beobachtbar zunehme, dies jedoch vor allem außerhalb der klassischen (zivilgesellschaftlichen) Strukturen von Kirchen, Gewerkschaften, Parteien und Verbänden, dann sei dies gefährlich: In einem Wechselspiel aus Mobilisierung und der Enttäuschung über deren Folgenlosigkeit könne die Distanz zwischen den Mitgestaltungswünschen politisierter Bürger*innen und dem politischen Entscheidungsprozess immer weiter zunehmen, so Sharp.
Resonanzverstärker: Zivilgesellschaft wird wichtig wie nie
Helen Sharps Beitrag zufolge wird es in Zukunft insbesondere auf die (Neu-)Konfiguration der Schnittstelle von Politik und eben dieser organisierten Zivilgesellschaft ankommen: „Kollektive Verbindlichkeit für grundlegende Strukturveränderungen braucht mehr denn je eine starke Struktur gesellschaftlicher Interessenvermittlung. Es sind auch diese Organisationen der Zivilgesellschaft – die Gewerkschaften, die Sozial-, Wohlfahrts- oder auch Umweltverbände – die nicht nur das Potenzial, sondern auch die Verantwortung haben, soziale Bindungskraft in der Breite der Gesellschaft anzubieten. Gleichzeitig sollten sie individuelle Mitgestaltungswünsche in den politischen Entscheidungsprozess einbringen“, betont sie.
Außerdem im Buch: Von Einstellungen und Mentalitäten bis zu Diskursen und Erzählungen
Heinz Bude betont in seinem Beitrag, dass es Aufgabe der Politik sei, die Chancen der Transformation für alle greifbar zu machen und durch konkrete, lebensnahe Maßnahmen Vertrauen zu schaffen (ab Seite 52). Im Diskurs über Transformationen könne der gesellschaftlichen Polarisierung mit Erzählungen entgegengewirkt werden, die Gemeinsamkeiten und Verbesserungen in den Mittelpunkt stellen – wie Maren Urner in ihrem Beitrag betont (ab Seite 62). Und Uwe Schneidwind spricht sich in „Transformation in der Komfortfalle“ für neue Zukunftserzählungen aus (ab Seite 116).
Über das Buch
Im Dezember 2023 hat das Bundeskanzleramt die wissenschaftliche Fachkonferenz „Gesellschaftliche Gelingensbedingungen der Transformation“ mit rund 100 Teilnehmenden aus Wissenschaft, Politik und Gesellschaft in Berlin organisiert. Die Publikation fasst die zentralen Diskussionsergebnisse der Konferenz zusammen. Fast alle Autor*innen des Buches waren selbst als Teilnehmende oder Impulsgebende bei der Konferenz anwesend.
~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~