Unsere Industriegesellschaft ist ungerecht: Nicht nur der Verbrauch von Ressourcen ist global ungleich verteilt und ein großes Wohlstandsgefälle vorhanden, sondern wir riskieren durch unsere Lebens- und Wirtschaftsweise auch, dass künftige Generationen ihre Bedürfnisse nicht werden befriedigen können. Bereits heute überschreitet die Menschheit die planetaren Grenzen. Wir am Institut für ökologische Wirtschaftsforschung bezweifeln, dass unter dem Paradigma des Wirtschaftswachstums die Grenzen ökologischer Belastung und grundlegende intra- und intergenerationelle Gerechtigkeitsprinzipien eingehalten werden können.
Das Leitbild „Postwachstumsgesellschaft“
Unter dem Leitbild „Postwachstumsgesellschaft“ suchen wir deshalb nach neuen Lebens- und Wirtschaftsweisen. In dieser Gesellschaft sollen die ökologischen Belastungsgrenzen eingehalten werden, ohne dass Prinzipien sozialer Gerechtigkeit verletzt werden. Wirtschaftswachstum – gemessen im Bruttoinlandsprodukt (BIP) – soll keine gesellschaftliche Zielgröße mehr darstellen und soziale Gerechtigkeit und ökologische Verträglichkeit als grundlegende Prinzipien der Gesellschaft anerkannt werden. Dafür müssen zahlreiche Institutionen transformiert werden. Wie genau eine Postwachstumsgesellschaft aussehen und mit welchen Schritten sie realisiert werden kann, soll in einem breiten öffentlichen Suchprozess elaboriert und diskutiert werden. Immer ausgehend von der Vorstellung, dass es „weder ein Wachstumsgebot noch ein Wachstumsverbot“ (Seidl/Zahrnt 2010, S. 28) gibt.
Postwachstum am IÖW – Roter Faden seit 1985
Das IÖW beteiligt sich seit seiner Gründung an diesem Suchprozess: So lautete der Titel der IÖW-Eröffnungstagung im November 1985 „Auswege aus dem industriellen Wachstumsdilemma“. Auch die deutsche Erstübersetzung des Werkes „The Entropy Law and the Economic Process in Retrospekt“ von Nicholas Georgescu-Roegen im Jahr 1987 kann als Beitrag zu diesem Prozess gesehen werden. Seither beschäftigte sich das Institut intensiv mit der Suche nach einer neuen Leitidee gesellschaftlicher Entwicklung. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des IÖW erforschten zum Beispiel Möglichkeiten zur Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch, die ökologischen Wirkungen der Arbeitszeitverkürzung oder Verteilungsaspekte als Faktoren bei der Formulierung von Umweltpolitiken. Darüber hinaus entwickelten sie Ansätze, wie der Dienstleistungssektor gestärkt und die Lebens- und Wirtschaftsweise dematerialisiert werden könnte. Sie arbeiten an praktischen Lösungsansätzen, um die Nutzung von Gütern zu verlängern und Sharing-Konzepte zu stärken.
Jenseits des BIP – Neue Wohlfahrtsindizes gesucht
In einem anderen Forschungsprojekt untersuchte das Institut die Bedeutung von Leistungen, die außerhalb der Berechnung des Bruttoinlandsproduktes liegen. Dazu gehören einerseits die ökologischen Leistungen der Natur und andererseits informelle Arbeitsleistungen wie Haus-, Erziehungs- oder Sorgearbeit. Ein echter „Wohlfahrtsindex“ müsste diese Leistungen alle berücksichtigen.
In den letzten Jahren wird zunehmend deutlicher, dass Umweltpolitik auch gesellschaftspolitische Fragen zur Verteilungsgerechtigkeit beantworten muss. Das IÖW erforscht deshalb, wie Governancestrukturen und -mechanismen verändert werden müssen, etwa in den Projekten „Nutzung der aktuellen Debatten zu gesellschaftlichem Wohlstand für die ökologische Gerechtigkeit und Schlussfolgerungen für die politische und gesamtgesellschaftliche Transformation“ oder „Umwelt- und Naturschutzpolitik als Gesellschaftspolitik – Konzepte und zukünftige Herausforderungen“.
Lebenszufriedenheit bewerten
Im Projekt „Ökonomie der Anpassung an den Klimawandel - Integration ökonomischer Modellierungen und institutioneller Analyse auf verschiedenen Skalenebenen“ entwickelt das IÖW Alternativen zu herkömmlichen ökonomischen Bewertungsmethoden. So werden neben den wirtschaftlichen Auswirkungen des Klimawandels und Anpassungsstrategien in Deutschland, auch die Folgen für die Lebenszufriedenheit von Menschen untersucht.
Unternehmen jenseits des Wachstums
Die IÖW-Studie „Wachstumsneutrale Unternehmen“ richtete den Blick auf einen Akteur, der bisher im Postwachstumsdiskurs vernachlässigt wurde: Die Unternehmen. Das Ziel war es, Wege zu erkunden und aufzuzeigen, wie dort mit ökologischen und volkswirtschaftlichen Wachstumsbegrenzungen umgegangen werden kann. Im Projekt „Postwachstumspioniere“ suchte das IÖW alternative Strategie- und Handlungsoptionen für kleine und mittelständische Unternehmen.
Neue Konzepte für Resourcenschonung
Das IÖW-Projekt "Digitalisierung und sozial-ökologische Transformation" analysiert mögliche Rebound-Risiken digitaler Dienstleistungen und die Ermittlung von Suffizienz-Chancen in den drei Bedarfsfeldern Mobilität, Ernährung/Handel und Wohnen. Im Projekt "Ansätze zur Ressourcenschonung im Kontext von Postwachstumskonzepten" wird untersucht, wie wirksam verschiedene Postwachstumskonzepte sind, um Ressourcen zu schonen.
Ulrich Petschow
Telefon: +49–30–884 594-23
ulrich.petschow(at)ioew.de
Der von IÖW, VÖW und Wuppertal Institut initiierte Blog Postwachstum bietet eine Plattform für eine sachliche öffentliche Debatte über die Ausgestaltung einer Postwachstumsgesellschaft. Dadurch soll eine offene Diskussion über das Thema ermöglicht werden.
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